Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

»Faszination Wegeforschung«

Von Ulrike Steinkrüger mit einem Exkurs von Felix Faasen 

Wege. Wir alle nutzen sie wie selbstverständlich täglich zu Fuß oder mit den unterschiedlichsten Fortbewegungsmitteln. Dies dringt nur in unser Bewusstsein, wenn ihre Beschaffenheit oder ihr Zustand zu wünschen übrig lassen. Dann merken wir erst, wie wichtig ein funktionierendes Wegesystem für uns ist. Dies spiegeln auch Schriftquellen des Mittelalters und der frühen Neuzeit wider. Viele Beschwerden über den als unzumutbar empfundenen Zustand von Wegen überwiegen bei weitem den sachlichen oder gar lobenden Bericht über funktionierende Strecken.

Zur Beantwortung der Fragen, wie solche Wege aussahen, wie sie verliefen, wer sie benutzte und warum sie teilweise in solch‘ schlechtem Zustand waren, kann die Archäologie einen wesentlichen Beitrag liefern. Denn Wege gab es natürlich schon weit vor den ersten Schriftquellen.

Fortbewegungstrassen im weitesten Sinne muss es auch in der Zeit der nomadisch lebenden Jäger:innen und Sammler:innen bereits gegeben haben. Sie bewegten sich von der Siedlungsstelle in das Jagdgebiet sowie zu Arealen mit potenziell früchtetragenden Pflanzen, zu neuen Siedlungsstellen, zu Wasser- und Rohstoffquellen. Solche eher als Trampelpfade zu bezeichnenden Trassen sind archäologisch noch nicht zu fassen. Aber bereits mit der Sesshaftwerdung des Menschen in der Jungsteinzeit ab ca. 5500 v. Chr. festigen sich mit den Wohnorten auch die Bewegungsrichtungen. Die Erfindung von Rad und Wagen im 4. Jahrtausend v. Chr. stellte neue Ansprüche an Wegtrassen. Aus der Zeit um 4500 v. Chr. sind aus dem benachbarten Niedersachsen die ersten Moor- oder Bohlenwege bekannt, die frühesten Wege der Region, die mit viel Aufwand regelrecht gebaut wurden, um feuchte Abschnitte zu überwinden. Aber erst die offenere Kulturlandschaft seit der Bronzezeit begünstigte den Verkehr in hohem Maße.

Eine kleine Sensation entdeckten 2014 die Kolleg:innen Kerstin Schierhold und Ingo Pfeffer, als sie das mittels Laserabtastung aus der Luft gewonnene digitale Geländemodell im Umkreis des jungsteinzeitlichen Großsteingrabs „Große Sloopsteene“ bei Lotte-Wersen im Kreis Steinfurt untersuchten. Sie sahen eine Wegspur, die unter einem endneolithischen Grabhügel verschwindet und auf der anderen Seite wieder hervorkommt. Da der Weg vom Hügel überlagert wird, muss er älter als dieser sein und kann zur Zeit der Anlage des Grabes nicht mehr in Gebrauch gewesen sein. Ein noch heute sichtbarer, jungsteinzeitlicher Weg!

Digitales Geländemodell des Bereichs südlich der großen Sloopsteene in Lotte-Wersen.

Digitales Geländemodell des Bereichs südlich der großen Sloopsteene in Lotte-Wersen (blauer Ring = Grabhügel; rote Linien = Wegspuren). Kartengrundlage: Land NRW [2015] – Lizenz dl-de/zero-2-0; Grafik: LWL-Archäologie für Westfalen/I. Pfeffer.

Als Ergänzung zu Luftbildern hat die Nutzung von digitalen Geländemodellen innerhalb der Archäologie insbesondere die Wegeforschung quasi revolutioniert.

Zwischen Erwitte-Schmerlecke und Bad Sassendorf-Lohne sind im Luftbild Spuren des alten Hellwegs zu erkennen.

Zwischen Erwitte-Schmerlecke und Bad Sassendorf-Lohne sind im Luftbild Spuren des alten Hellwegs zu erkennen. Bild: © GoogleMaps (2010). Bearbeitung: Altertumskommission für Westfalen/U. Steinkrüger.

Sogenannte Hohlwege gehören zu den häufigsten im Gelände erhaltenen Relikten alter Wegtrassen. Manche sind kaum wahrnehmbar und andere sind bis zu 7 m tief. Dort, wo Reitende und Fuhrwerke sich einen Berghang hinauf- und hinab bewegten, schnitten sich in weicheren Untergrund Trassen ein. Das durch Hufe und Räder gelockerte Bodenmaterial wurde bei Regen ausgeschwemmt, sodass die Spur sich immer tiefer eingrub. War eine Trasse nicht mehr passierbar, entstand oftmals direkt daneben eine neue Fahrspur, sodass mehrere nebeneinander liegen (Hohlwegbündel).

Oftmals sind Hohlwege aber gut verborgen unter Laub, Gestrüpp oder wuchernden Ranken und dadurch im Gelände gar nicht wahrnehmbar. Erst die Laserabtastung, die alle anderen Punkte herausrechnet, die nicht direkt auf der Bodenoberfläche gelandet sind, lässt solche Bodenveränderungen am Monitor deutlich sichtbar werden.

Dennoch ist die Geländearbeit unerlässlich, denn manchmal kommen bei Ausgrabungen oder archäologisch koordinierten Säuberungsaktionen Überraschungen zutage. So verbarg sich bei Horn-Bad Meinberg im Kreis Lippe in einem solchen 4 m tiefen und 2–3 m breiten Hohlweg eine sogenannte Geleisespur. Hier waren in der frühen Neuzeit an einem Pass für die Wagen zwei Rillen in den anstehenden Fels gearbeitet worden, damit der Wagen nicht so leicht ausbrechen konnte. Nachteil war allerdings, dass nur Fahrzeuge mit genormtem Radabstand von 1,4 m den Weg nutzen konnten.

Mit dichtem Unterholz bewachsen sind die Hohlwege nahe der Holsterburg bei Warburg im Kreis Höxter kaum erkennbar.

Mit dichtem Unterholz bewachsen sind die Hohlwege nahe der Holsterburg bei Warburg im Kreis Höxter kaum erkennbar. Foto: Ulrike Steinkrüger

Digitales Geländemodell von der Holsterburg bei Warburg und den Spuren eines mittelalterlichen Fernweges

Digitales Geländemodell von der Holsterburg bei Warburg und den Spuren eines mittelalterlichen Fernweges. Kartengrundlage: Land NRW [2022] – Lizenz dl-de/zero-2-0; Grafik: Altertumskommission für Westfalen/U. Steinkrüger.

Bei Horn-Bad Meinberg wurden Geleisespuren für einen frühneuzeitlichen Weg aufwendig in den Fels eingearbeitet.

Bei Horn-Bad Meinberg wurden Geleisespuren für einen frühneuzeitlichen Weg aufwendig in den Fels eingearbeitet. Foto: Altertumskommission für Westfalen/U. Steinkrüger.

Die Untersuchung von digitalen Geländemodellen ergänzt also hervorragend die Ausgrabungsbefunde von Wegen. Solche gibt es vor allem aus dem städtischen Bereich, während Hohlwege in der Regel außerhalb der Siedlungen und der mit dem Pflug bearbeiteten Bereiche erhalten sind. Die meisten bekannten Hohlwege finden sich in Wäldern.

Wird tatsächlich mal ein Wegabschnitt ausgegraben, präsentieren sich oft faszinierende und aussagekräftige Ergebnisse für die Wegeforschung. An einem Abschnitt des Hellwegs in Paderborn an der Heierstraße konnten mehrere übereinanderliegende Straßenpflaster entdeckt werden. Auch Reparaturspuren kamen zutage. Zudem wurde ersichtlich, dass der im 12. Jahrhundert ausgebaute Wegabschnitt zunächst gut gepflegt und immer wieder gesäubert wurde, während aus dem 14. Jahrhundert Schmutzschichten auf dem Pflaster erkennbar waren.

Ausgrabungen des Hellwegs in der Heiersstraße im Stadtzentrum von Paderborn zeigen zwei Pflasterlagen und jüngere Holzbohlen.

Ausgrabungen des Hellwegs in der Heiersstraße im Stadtzentrum von Paderborn zeigen zwei Pflasterlagen und jüngere Holzbohlen. Foto: LWL-Archäologie für Westfalen/S. Spiong.

Einige archäologische Funde entlang von Wegetrassen sind als wegetypisch zu benennen: verlorene Münzen oder Pilgerabzeichen, Hufeisen oder im Schlamm haftengebliebene Schuhsohlen. Heutzutage wären dies vermutlich neben Münzen eher Katzenaugen von Fahrrädern, Schlüsselanhänger, Reißverschlusslaschen, Zigarettenfilter uvm.

Würden in grauer Zukunft Archäolog:innen versuchen, unser heutiges System der Autobahnen zu erforschen, so würden sie neben den Asphaltbahnen sicherlich auch nach Resten von Schutzplanken, Leitpfosten und Notrufsäulen suchen. Sind diese nicht mehr vorhanden, gäben ihnen auch Parkplätze mit WC-Anlagen, Raststätten, Tankstellen, Autobahnkapellen und ähnliche auf die Autobahn bezogene Infrastruktur wertvolle Hinweise auf das Vorhandensein einer Trasse.

Solche indirekten Indikatoren gibt es zum Beispiel auch für mittelalterliche Fernrouten. Sie ergänzen das Bild der erhaltenen Wegrelikte. Im Idealfall reihen sie sich wie Perlen an einer Schnur auf und bilden so die alten Wegtrassen ab. Zu diesen sogenannten Wegbegleitern gehören zum Beispiel:

  • Galgen, die als abschreckendes Beispiel vor den Städten an den großen Wegen positioniert waren,
  • Bildsteine, die größtenteils in ihrer Aussagekraft nur wirkten, wenn auch Menschen an ihnen vorbeikamen,
  • Gasthöfe, Herbergen u. ä., die ebenso wie Schmieden und Pferdewechselstationen von den vorbeiziehenden Menschen profitierten,
  • Kapellen, Klausen und Klöster lagen oft gar nicht so abgeschieden wie allgemein gedacht. Die Eremit:innen in Klausen lebten zum Teil von Spenden der Reisenden und Klöster waren nicht nur Rückzugsorte, sondern auch florierende Wirtschaftsbetriebe mit weitreichenden Handelsbeziehungen.
  • Auch die an den großen Fernhandelswegen außerhalb der Städte befindlichen Siechen- bzw. Leprosenhäuser waren von Almosen abhängig. In den Städten waren die hier untergebrachten, ansteckend Kranken (z. B. Leprakranke) nicht erwünscht.
  • Viele mittelalterliche Städte, Bauerschaften und Kirchspiele schützten ihr ländliches Territorium rundherum oder abschnittsweise mittels einer sogenannten Landwehr. Dies waren mit undurchdringlichem Gebüsch bestandene Wall-Graben-Systeme. An den wichtigen Fernwegen befanden sich bewachte Durchlässe, sogenannte Schlagbäume (wie heutige Schranken).

Auch Burgen mussten über Wege angeschlossen sein. Entweder lagen sie im direkten Einzugsbereich wichtiger Trassen und kontrollierten diese oder hatten zumindest Zuwegungen zu den größeren Routen. Ob die Burg wegen einer wichtigen Straße dort gebaut wurde oder die Straße wegen der Burg entstanden ist, lässt sich nur selten beantworten. Hier sind wir schnell bei der Frage nach dem Huhn und dem Ei. Bei der Holsterburg 2 km südöstlich von Warburg im Kreis Höxter kann davon ausgegangen werden, dass der Weg bereits existierte und die Burg von der Lage an der Strecke profitieren sollte. Noch heute sind in der Nähe Hohlwege der alten Handelsroute von Paderborn nach Kassel erhalten. (Siehe Bilder 3 und 4)

Auf dem Stadtplan von Dortmund des Detmar Mulher aus dem Jahr 1610 ist am linken Bildrand außerhalb der Stadtmauern der Galgen eingezeichnet.

Auf dem Stadtplan von Dortmund des Detmar Mulher aus dem Jahr 1610 ist am linken Bildrand außerhalb der Stadtmauern der Galgen eingezeichnet. Bild: Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Stadt Dortmund/Madeleine-Annette Albrecht. Bearbeitung: Altertumskommission für Westfalen/U. Steinkrüger.

Das sogenannte Tilbecker Mordkreuz am Weg von Münster nach Nottuln erinnert an eine hier ermordete Tilbecker Bäuerin.

Das sogenannte Tilbecker Mordkreuz am Weg von Münster nach Nottuln erinnert an eine hier ermordete Tilbecker Bäuerin. Foto: Altertumskommission für Westfalen/U. Steinkrüger.

Das Leprosenhaus in Münster-Kinderhaus lag direkt an einer mittelalterlichen Fernstraße.

Das Leprosenhaus in Münster-Kinderhaus lag direkt an einer mittelalterlichen Fernstraße. Die Kirche befand sich auf der einen, das Wohnhaus der dort untergebrachten ansteckenden Kranken auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen/G. Schüttemeyer.

Bis in die frühe Neuzeit gab es in Westfalen fast ausschließlich Naturwege, die höchstens auf kürzeren Abschnitten mit Steinen gepflastert oder mit Bohlen ausgelegt waren. Die mittelalterlichen Schriftquellen berichten einiges zur Instandhaltung dieses pflegebedürftigen Wegenetzes. Die Reparatur von Schlaglöchern mit Reisig oder Schlackebrocken muss die reinste Sisyphus-Arbeit gewesen sein. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sollte es dauern, bis unter Napoleon die ersten regelrechten Straßen in Westfalen gebaut wurden. Richtig in Fahrt kam der Chausseebau aber erst im 19. Jahrhundert. Es muss auch immer bedacht werden: Wo ein funktionierendes Wegesystem besteht, finden nicht nur Handeltreibende und harmlose Reisende problemlos ihren Weg, sondern auch feindliche Heere!

Zwar haben die Römer in ihrem Kernraum bereits einen hochentwickelten Straßenbau betrieben. Dies wendeten sie allerdings in Westfalen nicht an. In Dorsten-Holsterhausen weist der ausgegrabene Straßenabschnitt rechts und links Drainagegräben auf. Dies ist in Haltern ähnlich, allerdings lässt sich hier noch eine weitere römische Eigenart entlang von Straßen nachweisen: seitlich direkt am Weg liegen die Grabmäler der verstorbenen Bewohner:innen des Lagers aufgereiht – ganz wie zu Hause in Rom. Hier war keine Friedhofsruhe angesagt, sondern die Toten waren mittendrin im wilden Treiben auf der Straße, auf denen sich zu allen Zeiten, aber besonders seit dem Mittelalter die verschiedensten Menschen trafen: Reisende, Kaufleute, Handwerker:innen, Geistliche, Adelige, Bettler:innen, Gaukler:innen, Pilgernde, Soldaten, Heereszüge, Räuberbanden, Studierende und Missionierende, Fußgänger:innen, Reitende, Fahrende, Schiebende, Ziehende und Tragende.

Die Autorin Ulrike Steinkrüger M.A. ist Archäologin. Sie arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Wegeforschung bei der Altertumskommission für Westfalen. 

Pilgergräber in Westfalen

Die Gräber von Pilgernden früherer Jahrhunderte sind von besonderem Interesse für die Wegeforschung, da sie viel über die Mobilität in und durch Westfalen verraten.

Ein Exkurs von Felix Faasen

Als Pilgergrab klassifiziert werden Bestattungen, in denen eine Jakobsmuschel (pecten maximus) aufgefunden wurde. Diese Muschel erstanden die Pilgernden am Ziel ihrer Reise im nordspanischen Santiago de Compostela, wo der Überlieferung zufolge der Apostel Jakobus d. Ä. seine letzte Ruhe fand.

Gut sichtbar an der Kleidung getragen war die Muschel ein Erkennungszeichen der Pilgernden, das ihnen Vorteile wie Zollfreiheit und Unterkunft in Herbergen verschaffen sollte. In der Regel wurde die Muschel seit dem 11. Jahrhundert auf der Umhängetasche getragen, ab dem 14. Jahrhundert dann im Brustbereich des Mantels und/oder am Hut. Diese Trageweise ist auch aus zahlreichen Bildquellen bekannt, z. B. einer Pilgerdarstellung in der Oldenburger Handschrift des Sachsenspiegels (Rechtswerk aus dem 13. Jh.). Auch Darstellungen des hl. Jakobus zeigen ihn häufig in Pilgertracht, d. h. mit Mantel, Hut, Stab und Jakobsmuschel, so z. B. als Heiligenfigur in der Kirche von Meschede-Remblinghausen.

Ein weiteres Souvenir aus Santiago waren Rosenkränze aus Gagatperlen. Eine besonders schöne, mit herausgearbeiteten Muscheln verzierte Perle wurde in Minden gefunden und stammt vermutlich aus dem 15. Jahrhundert. An der dortigen Johanniskirche gab es für durchziehende Pilgernde einen eigenen Begräbnisplatz.  

Eine ähnliche, aber unverzierte Gagatperle wurde in der Attendorner Kirche St. Johannes Baptist gefunden. Leider ist sie keinem Befundzusammenhang, also einem Grab o. ä., mehr zuzuordnen. Dass unter den Bestatteten in der Attendorner Kirche aber mindestens ein Pilger war, beweist das Grab 33. Auf dem Brustkorb des hier liegenden Skelettes befand sich eine Jakobsmuschel! Gut erkennbar sind noch die zwei Löcher in der Muschel, mit der sie an der Kleidung befestigt war. Demzufolge handelt es sich um eine Bestattung frühestens aus dem beginnenden 14. Jahrhundert. Die Grablege innerhalb der Kirche weist darauf hin, dass es sich bei dem Toten um ein angesehenes Mitglied der Gemeinde handelte, nicht um einen Fremden. Er ist möglicherweise einige Jahre nach seiner Pilgerreise gestorben.

Die weite Pilgerfahrt zu Fuß war insbesondere für arme Menschen ein Mühsal, viele erkrankten unterwegs, manche starben. In den Städten entlang der Fernstraßen entstanden Hospitäler, die primär die Versorgung der bedürftigen Pilgernden übernehmen sollten. Ab etwa dem 13. Jahrhundert entstanden entlang des Hellwegs, einer bedeutenden Ost-West-Verbindung, zahlreiche sogenannte Heilig-Geist-Hospitäler, z. B. in Höxter, Paderborn, Unna, Soest und Bochum. Für das um 1304 gegründete „Neue Hospital“ in Soest wurde in der Satzung festgeschrieben, dass die Unterbringung und Verpflegung von Wandernden, Pilgernden und beklagenswerten Personen für die Nacht hier erfolgen soll.

Offenbar kam aber auch in Soest mal ein Pilgernder ums Leben. Im Friedhofsbereich des ehemaligen Minoritenklosters wurde bei archäologischen Ausgrabungen ein Pilgergrab aus dem 14.-15. Jahrhundert entdeckt. Das beweisen zwei Muschelschalen, von denen eine noch die charakteristische Doppelbohrung im Bereich des Schlosses hat.  

Eine weitere Fernstraße verlief von Bremen über Osnabrück und Münster nach Dortmund. Diese war eine stark frequentierte Nord-Süd-Verbindung, auf der natürlich auch Pilgernde unterwegs waren. Das belegt u. a. ein Grab aus dem 14.-15. Jahrhundert auf dem Friedhof der Marienkirche in Osnabrück. Archäolog:innen fanden darin eine durchlochte Jakobsmuschel, die ihn als Santiagorückkehrer auswies. Wo er beheimatet war ist unbekannt. Da der Friedhof Urkunden zufolge Fremden vorbehalten war, kann es sich nicht um einen Pilger aus der Region gehandelt haben.

Die Pilgergräber und Hospitäler sind also Wegeindikatoren (Vgl. Beitrag Ulrike), die den Archäolog:innen anzeigen, durch welche Orte die historischen Fernstraßen verliefen. Denn diese wurden aufgrund ihrer Infrastruktur von den Pilgernden genutzt und boten ihnen Schutz. Seit dem 19. Jahrhundert sind im Bereich der alten Trassen häufig moderne Straßen entstanden.

Die Altertumskommission für Westfalen hat im Rahmen eines mehrjährigen Projekts ihre Forschungen zu den alten Wegen sichtbar gemacht, indem sie die heutigen Jakobswege auf gut zu wandernden Strecken in Anlehnung an die historischen Routen ausschildern ließ. Unterwegs treffen die Pilgernden dabei auf zahlreiche Relikte des historischen Pilgerwesens.

Der Autor Felix Faasen ist Archäologe B.A. Er arbeitet als studentischer Volontär bei der Altertumskommission für Westfalen.

Download: Whitepaper »Faszination Wegeforschung und Pilgergräber in Westfalen« in DIN A 4 als pdf

Mehr wissen über Pilgerwege in Westfalen:

Projekt "Wege der Jakobspilger" bei der Altertumskommission für Westfalen

Broschüre „Im Zeichen der Muschel. Wege der Jakobspilger in Westfalen". Altertumskommission für Westfalen 2022 (hier bestellbar)

Kurzfilm "Im Zeichen der Muschel" zur Einweihung des Teilstücks des Jakobsweges zwischen Paderborn und Elspe am 6.5.2022 auf YouTube bei der Altertumskommission