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Megalithik – Ein neolithisches Phänomen

Von Lea Kopner

Megalithik – das Wort bezeichnet die Wissenschaft von Monumenten aus großen Steinen. Es ist abgeleitet von den griechischen Wörtern mégas für groß und líthos für Stein. Die Bauten aus tonnenschweren Findlingen waren ein regelrechter Architektur-Trend in der Jungsteinzeit, dem Neolithikum, und bis heute stehen sie in nordeuropäischen Landschaften. Sie beeindrucken durch ihre Größe, ihr Alter und die geniale Kunstfertigkeit ihrer Konstruktion. In Westfalen sind vor allem die Kollektivgräber bekannt, wie die Großen und Kleinen Sloopsteene bei Westerkappeln. Doch es gibt deutlich mehr Arten von Megalith-Monumenten, die unterschiedliche Zwecke erfüllt haben.

Ansicht aus dem VR-Film »Die Großen Sloopsteene«: Der letzte Stein wird in Position gebracht. Filmstill: Altertumskommission.

Ansicht aus dem VR-Film »Die Großen Sloopsteene«: Der letzte Stein wird in Position gebracht. Filmstill: Altertumskommission.

Berühmte Megalithstätten

Das berühmteste Beispiel hierfür dürfte wohl Stonehenge sein, der Steinkreis in England, dessen Zweck sich uns heute nicht mehr komplett erschließt. Dieser wurde in seiner heutigen Form allerdings erst um 2500 v.Chr. errichtet, als der Trend der Großsteinbauten seinen Höhepunkt bereits überschritten hatte. Seinen Ursprung scheint das Phänomen, große Steine in der Landschaft zu platzieren, im Gebiet der heutigen Normandie und Bretagne zu haben. An der bretonischen Atlantikküste tauchten ab 5700 v.Chr. Menhire auf, auch als Hinkelsteine oder Standing Stones bezeichnet, die den Beginn des Steinbaus markieren. Diese länglichen, meist unbearbeiteten Steine waren bis zu 20 m hoch und wurden senkrecht in der Landschaft aufgestellt, entweder einzeln oder in langen Reihen. Die Steinreihen von Carnac sind weltbekannt. Warum dies geschah, lässt sich heute nur noch mutmaßen. Ein Faktor war möglicherweise die Markierung besonderer Orte in der Landschaft. Ab ca. 5200 v.Chr. wurden die Menhire teilweise willentlich zerstört und dienten dann mitunter als Baumaterial für andere Megalithanlagen.

Steinhäuser für die Toten

Megalithische Bauten dienten besonders häufig als Bestattungsorte und zeugen von einem Wandel der Bestattungssitten während der Jungsteinzeit. Gräber waren zunehmend obertägig sichtbar und wurden so zu einem Teil der Landschaft. Die ersten monumentalen Bestattungsorte entstanden in der Bretagne ab 5500 v.Chr. in Form von sogenannten Langhügeln. Diese häufig rund 80 m langen Hügel bestanden aus aufgeschütteter Erde mit einer Befestigung aus Holz, darunter waren einzelne Personen in Grabkammern bestattet. Im Laufe ihrer Nutzung wurden einige dieser Anlagen zusätzlich mit Steinen verstärkt. Diese Konstruktionen entwickelte man allmählich weiter, bis um 4800 bis 4600 v.Chr. die ersten sogenannten Galeriegräber errichtet wurden. Die im Volksmund auch als Steinkisten bezeichneten Gräber sind in den Boden eingetieft und haben einen rechteckigen Grundriss. Häufig sind sie aus gebrochenen Steinen errichtet, zum Beispiel aus Kalksteinplatten. Die Grabkammern sind in der Regel aus gebrochenen Steinplatten konstruiert, die als Wand- und Decksteine dienen. Die wohl bekannteste dieser frühen Megalithanlagen ist Barnenez in der Bretagne mit insgesamt elf Kammern. Sie wurde um 4500 v.Chr. errichtet und war bis zum dritten Jahrtausend v. Chr. in Betrieb.

Kollektivgrab II aus Erwitte-Schmerlecke.

Kollektivgrab II aus Erwitte-Schmerlecke. Skelettierte Individuen im Hintergrund; Frischverstorbene im Vordergrund mit archäologisch nachgewiesenen Trachtbestandteilen. Illustration: B. Clarys, Louvain-La-Neuve auf wissenschaftlicher Grundlage nach K. Schierhold.

Von der Bretagne nach Westfalen

Im Gebiet des heutigen Norddeutschland und Skandinavien tauchten rund 1000 Jahre später ebenfalls Megalithanlagen auf. Dieser Umstand ging mit dem Übergang zur sesshaften und produzierenden Wirtschaftsweise einher, der in Norddeutschland und Südskandinavien ab ca. 4300 v. Chr. einsetzte und somit ebenfalls später als in der Bretagne. Diese Lebensweise scheint jedoch eine notwendige Voraussetzung für den Bau megalithischer Anlagen gewesen zu sein, da eine ausreichend große Menge Nahrung produziert werden musste, um genug Arbeitskräfte für den Bau der Monumente freistellen zu können. Außerdem musste das Wissen um solche Anlagen und die zu ihrer Errichtung notwendigen technischen Fähigkeiten erst in diese Regionen vermittelt werden.

Im heutigen Gebiet Norddeutschlands ging den megalithischen Bauten ebenfalls eine frühere Phase nicht-megalithischer, großer Bauwerke voraus, in der Lang- und Rundhügel errichtet wurden. Ab ca. 3600 v. Chr. begann hier, wie in der Bretagne, ein Wandel zu megalithischen Bauwerken. Die frühesten Megalithgräber waren einfache sogenannte Dolmen aus wenigen Steinen, in denen meist nur eine Person bestattet wurde. Allmählich vollzog sich auch hier ein Wandel zu größeren Megalithgräbern. Im Gebiet zwischen dem heutigen Südskandinavien und Norddeutschland wurde allerdings ein anderer Typus von Gräbern entwickelt. Die sogenannten Ganggräber, von denen sich auch einige in Westfalen finden, wurden oberirdisch errichtet. Sie bestanden aus großen Findlingen, die mit den Gletschern der Saale-Eiszeit (vor 240.000 - 125.000 Jahren) von Skandinavien aus nach Süden transportiert worden waren. Ab dem frühen dritten Jahrtausend ließ die Zahl der neu errichteten Megalithgräber nach. Ein Faktor war dabei vielleicht eine gewisse Ressourcenknappheit: Die für den Bau der Gräber erforderlichen Findlinge waren vermutlich nicht mehr in ausreichender Anzahl und Größe verfügbar.

Karte Europas mit zeitlicher Verbreitung der Megalithbauten.

Karte Europas mit zeitlicher Verbreitung der Megalithbauten. Karte: Altertumskommission/S. Hofer auf Grundlage von Furholt/Müller2011, 20.

Kollektiv gebaut – kollektiv genutzt

Ganggräber und Galeriegräber dienten der Bestattung zahlreicher Individuen über einige Jahrhunderte hinweg und werden daher auch als Kollektivgräber bezeichnet. Der gemeinschaftliche Aspekt in der Bestattungskultur spiegelt vermutlich ein allgemeines kulturelles Umdenken in den damaligen Gemeinschaften wider und ist neben ihrer monumentalen Größe eine weitere Besonderheit der Megalithgräber. Sie markieren außerdem in Norddeutschland das erste Entstehen von Kulturlandschaften und sind Zeugnisse der Erinnerungskultur von Gesellschaften, die Informationen nicht schriftlich festhielten. Der in der Bauweise der Anlagen nachvollziehbare Austausch von Wissen mit teils weit entfernten Gruppen zeigt zudem, dass es sich um hochmobile Gesellschaften gehandelt hat.