»Westfalen – Ein megalithischer Glücksfall«
Von Lea Kopner
Zwar gibt es in Westfalen nicht so viele Megalithgräber wie in nördlicheren Gebieten, dafür haben wir hier einen regelrechten megalithischen Glücksfall vorliegen. Hier finden sich Überreste gleich zweier jungsteinzeitlicher Kulturen, deren Angehörige ihre Toten in Kollektivgräbern aus großen Steinen bestatteten, sich jedoch in der Art des Grabbaus und auch in ihrer materiellen Kultur unterschieden; die Wartbergkultur und die Trichterbecherkultur. In der Kontaktzone der beiden Kulturen lässt sich erahnen, wie sich kultureller Austausch in der Jungsteinzeit darstellte.
Steinkisten: Galeriegräber der Wartbergkultur im Süden
Die Träger der Wartbergkultur errichteten im Süden und Osten des heutigen Westfalen sogenannte Galeriegräber. In den meisten Fällen nutzten sie dafür Kalksteinplatten, die sie direkt vor Ort aus dem anstehenden Gestein brachen und zu einem Grab mit langrechteckigem Grundriss aufrichteten. Diese Anlagen erhielten ein entsprechend kastiges Aussehen und werden daher im Volksmund auch als Steinkisten bezeichnet.
Die Kammer der Galeriegräber war in den Boden eingetieft. Die Steinkonstruktion wurde nach Fertigstellung mit Erde überhügelt, sodass dieser Typus von Megalithgräbern in der Landschaft allenfalls als flacher Hügel zu erkennen war, ohne besonders aufzufallen. Die Grabkammer war in der Regel durch ein sogenanntes Seelenloch erreichbar, einer rundlichen Öffnung in einer der Kalksteinwände. In manchen Fällen gab es noch einen kleinen Vorraum, der auf diese Öffnung zuführte. Die Ausrichtung der Anlagen wählten die Erbauer häufig anhand natürlicher Gegebenheiten aus. So zeigte der Zugang des Grabes von Warburg-Rimbeck auf den landschaftlich markanten Desenberg, und die Gräber im Altenautal bei Paderborn sind abhängig vom Flusslauf orientiert.
Wie bestatteten die Wartberg-Menschen ihre Toten?
Die Menschen der Wartbergkultur gaben ihren Toten häufig Geräte aus Feuerstein mit. Keramikgefäße finden sich in diesen Gräbern hingegen nur sporadisch. Allerdings entsteht durch die Verwendung von Kalkstein als Baumaterial ein Bodenmilieu, das die Knochenerhaltung begünstigt, sodass viele Knochen der Toten bis heute erhalten sind. Untersuchungen der Knochen liefern Informationen über die hier Bestatteten und ihr Leben. So lassen sich Aussagen über ihre Ernährung, ihr Alter, Verletzungen oder verwandtschaftliche Bezüge treffen. Neben menschlichen Skelettresten finden sich in diesen Gräbern häufig auch Tierknochen und -zähne. Während aus den Knochen Werkzeuge hergestellt wurden, dienten durchlochte Hundezähne den Toten als Schmuck. Weitere Schmuckbeigaben wie z.B. Bernsteinperlen aus dem Ostseeraum zeugen davon, dass die Menschen auch in der Jungsteinzeit schon überregionale Kontakte pflegten.
Ganggräber der Trichterbecherkultur im Norden
Die zeitgleiche Trichterbecherkultur grenzte nach Nordwesten an das Gebiet der Wartbergkultur an. Zu ihren Hinterlassenschaften gehören Gräber aus nordischen Geschiebefindlingen, die mit dem Eispanzer der Saale-Kaltzeit (ca. 300.000-130.000 v. Chr.) aus Skandinavien hierhergelangt waren. Sie standen in der unmittelbaren Umgebung der Gräber zur Verfügung und mussten meist nur einige Hundert Meter transportiert werden. Die Findlinge wurden in der Regel nicht beschlagen oder auf andere Weise bearbeitet. Dennoch wurden sie so verbaut, dass die Kammer möglichst gerade und gleichmäßig gelang, indem man die jeweils glatteste Seite nach innen drehte. Die Grabkammer war über einen kurzen Gang aus kleineren Findlingen meist an der südlichen Längsseite erreichbar. Diese Art von Großsteingrab wird daher als Ganggrab bezeichnet.
Anders als Galeriegräber wurden Ganggräber obertägig errichtet, die Kammer ist also nicht in den Boden eingetieft. Die Überhügelung mit Erde war entsprechend deutlich höher als bei den Galeriegräbern, sodass sie imposante Bauwerke in der neolithischen Landschaft bildeten. Beispielsweise ist die Steinkonstruktion der Großen Sloopsteene bei Lotte-Wersen an manchen Stellen noch heute über zwei Meter hoch, zum Zeitpunkt ihrer Errichtung dürfte die Anlage mit Überhügelung noch größer gewesen sein.
Zur Befestigung des Erdhügels war die Kammerkonstruktion der meisten Anlagen zusätzlich von einem Kranz kleinerer Findlinge umgeben. Heute sind die Erdhügel in den meisten Fällen abgeflossen, verbliebene Steine der äußeren Umfassung lassen aber in manchen Fällen die ursprüngliche Größe der Anlagen erkennen.
Beigabenreichtum der Trichterbecherkultur
Im Gegensatz zur Wartbergkultur gaben die Menschen der Trichterbecherkultur ihren Toten zahlreiche Beigaben mit. Den Großteil des bei archäologischen Grabungen gefundenen Materials machen Keramikgefäße aus, in denen man seinen Angehörigen vermutlich Speisen darbrachte. Viele der niedergelegten Gefäße der Trichterbecherkulturen zeigen reiche Verzierungen aus geometrischen Mustern.
Diese durchliefen über die Jahrhunderte verschiedene Moden, sodass die Keramik ein optimales Medium zur zeitlichen Einordnung des jeweiligen Grabes darstellt. Auch finden sich Werkzeuge aus Feuerstein, etwa Pfeilspitzen und Beile. Selten sind frühe Kupferartefakte, wobei das Metall vorerst nur als Schmuck genutzt wurde und noch keine Bedeutung als Werkmaterial hatte. In den kalkarmen, sandigen Böden der Region Nordwestfalen erhält sich Knochenmaterial nur kurze Zeit, sodass Funde von Skelettresten aus Ganggräbern selten sind.
5000 Jahre hinterlassen Spuren
Eine Gemeinsamkeit der beiden Grabtypen, also der Galeriegräber der Wartbergkultur und der Ganggräber der Trichterbecherkultur, ist leider ihr häufig schlechter Erhaltungszustand. Die Ganggräber der Trichterbecherkultur weckten aufgrund ihrer guten Sichtbarkeit in der Landschaft auch nach Ende ihrer Nutzung das Interesse der Menschen, sodass immer wieder zu Eingriffen kam. Das Kammerinnere ist heute oft gestört, weil hier nach „Schätzen“ gegraben wurde. Manchmal wurden nachträglich Keramikgefäße beigelegt, so etwa in den Düwelsteenen bei Heiden, wo bei einer Grabung im Jahr 1932 zwei Scherben eines Gefäßes aus dem 10. oder 11. Jahrhundert gefunden wurde. Die großen Findlinge wurden ab der frühen Neuzeit gerne als Baumaterial verwendet, zum Beispiel zur Pflasterung von Straßen. Auch Versuche, einen vermeintlichen ursprünglichen Zustand zu rekonstruieren, zerstörten vielfach die Fundstätten. Daher handelt es sich bei den heute in der Landschaft sichtbaren Bauwerken häufig um moderne Inszenierungen.
Die Galeriegräber der Wartbergkultur wurden hingegen nur selten geöffnet, da sie oberirdisch kaum erkennbar waren. Allerdings fielen sie häufig der Landwirtschaft zum Opfer, wenn ihr Standort mit der Zeit zu Ackerland wurde. Die Decksteine störten die Arbeiten und wurden von den Landwirten häufig entfernt. Die oberen Bereiche der Wandsteine wurden hingegen vom Pflug zerstört und sind heute oft nur noch wenige Zentimeter hoch.
Man kannte seine Nachbarn
Im Gebiet des heutigen Westfalen lässt sich ein Stück Steinzeit-Alltag besonders gut nachvollziehen: Die beiden klar voneinander differenzierbaren megalithischen Kulturgruppen standen im Austausch miteinander – und zwar so rege, dass die Einflüsse sogar im Grabbau erkennbar sind: Eine Grabung der Altertumskommission am Grab Beckum-Dalmer II im Sommer 2021 zeigte, dass die Anlage Merkmale beider megalithisch bestattenden Kulturen aufweist. Die Findlinge als Baumaterial und der gangartige Zugang sind typisch für die Gräber der Trichterbecherkultur, die Bauweise mit einer eingetieften Kammer und entsprechend flachen Überhügelung ist hingegen von der Wartbergkultur bekannt.
Außerdem fand sich kaum Keramik, so dass die Anlage trotz ihrer augenscheinlichen Zugehörigkeit zur Trichterbecherkultur nun der Wartbergkultur zugeordnet wird.
Auch die Funde aus weiteren Gräbern in der Kontaktzone beider Kulturgruppen zeigen einen kulturellen Austausch - so ist unter den wenigen Keramikfunden aus Galeriegräbern mitunter Keramik der Trichterbecherkultur zu finden. Auch mit Feuersteingeräten scheint man gehandelt zu haben, denn in einigen Galeriegräbern fanden sich z.B. Pfeilspitzen der Trichterbecherkultur.
Beide Megalithkulturen Westfalens waren also vernetzte, kenntnisreiche Gruppen. Mit ihren Megalithanlagen schufen sie Monumente, die Jahrtausende überdauerten und die Menschen bis heute faszinieren. Dank der besonderen Situation lassen sich hier nicht nur einzelne Megalithkulturen, sondern auch der Austausch verschiedener Gruppen erforschen. Westfalen ist also eine hochinteressante Region für die Megalithforschung!
Die Autorin Lea Kopner ist Archäologin. Sie arbeitet als studentische Volontärin mit dem Schwerpunkt Megalithik bei der Altertumskommission für Westfalen.
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Mehr wissen über die Megalithik in Westfalen:
Dokumentarfilm "Eine archäologische Zeitreise in die westfälische Jungsteinzeit: Die Großen Sloopsteene" auf dem YouTube-Kanal der Altertumskommission
Zum Forschungsfeld Megalithik und zum Weg der großen Steine bei der Altertumskommission