»Zeitmaschine – Klappe, die Erste!«
von Annemarie Reck
Wie bin ich eigentlich im vergangenen Dezember als Archäologin in den Filmstudios von Faber Courtial GbR in Darmstadt gelandet?
Aber klar! Natürlich mit der Zeitmaschine!
Und zwar nicht mit irgendeiner, sondern mit der „Archäologischen Zeitmaschine“ (zum Projekt siehe Blogbeitrag »Die Archäologische Zeitmaschine – das Projekt«). Dafür wählten die Altertumskommission für Westfalen und die LWL-Archäologie drei Fundplätze Westfalens aus Steinzeit, Römerzeit und Mittelalter aus, um sie in VR-Filmen in Szene zu setzen. Die Filme sollen auf einer Roadshow die spontanen Besucher:innen inmitten ihres geschäftigen Alltags überraschen und in eine so noch nie zuvor erlebte Vergangenheit eintauchen lassen. Das Eintauchen, die sogenannte Immersion, ist nämlich das, was Virtual Reality (VR) zu einem ganz besonderen und eindrücklichen Erlebnis macht.
Für die Filme konnten wir die renommierte und auf VR spezialisierte Produktionsfirma Faber Courtial gewinnen. Auf Grundlage der Forschungsergebnisse von Altertumskommission und LWL-Archäologie erweckten sie auf kunstvolle Weise die vergangenen Welten im digitalen Raum wieder zum Leben. Doch was nah vor der Kamera auftaucht, muss real gedreht werden, um so echt wie möglich zu wirken. Alles andere wird digital gebaut. Hierfür müssen Schauspieler:innen gecastet und Kostüme und Requisiten beschafft werden.
Wir haben nichts zum Anziehen!
Wir wollten die Schauspieler:innen natürlich so authentisch wie möglich ausstatten. Am einfachsten war es da noch mit dem Mittelalter: hier griff uns das LWL-Museum für Archäologie in Herne bereitwillig unter die Arme, indem es uns seine Requisitenkammer öffnete (und sogar um ein paar Stücke erweiterte). Das Römermuseum in Halten und die I. Römerkohorte Opladen e.V. halfen uns mit ihren mit viel Liebe zum Detail gestalteten römischen Rüstungen aus und stellten uns außerdem ein ledernes Lagerzelt, Marschgepäck, aufwendig bemalte Schilde und Waffen zur Verfügung.
Steinzeitliche Kostüme zu finden, die nicht das Klischee des Höhlenmenschen bedienen, gestaltete sich hingegen etwas schwieriger, denn aus der Trichterbecherkultur, die im Film gezeigt wird, gibt es kaum gesicherte Hinweise auf Stoffproduktion, wie beispielsweise Spinnwirtel. Darum muss davon ausgegangen werden, dass ihre Kleidung aus Leder und Fellen bestand. Schließlich stellte das Archäologische Freilichtmuseum Oerlinghausen den Kontakt zu Bettina Ronschke und Heiko Mauritz her, die steinzeitliche Herstellungsmethoden im Privaten studieren und uns die Kleidung und nötigen Accessoires von den Fuchsfellbeinlingen bis zum Birkenseilhandtäschchen mit großer Handfertigkeit und Detailtreue herstellten oder ausliehen.
Behind the Scenes
Kurz vor Weihnachten ging es dann mit Matthias Bensch vom Römermuseum Haltern und einem bis zum Dach vollgestopften Dienstwagen auf nach Darmstadt. Wir sollten für fachliche Nachfragen zur Verfügung stehen und dafür Sorge tragen, dass die Kostüme richtig angezogen werden. Und unsere Hilfe war dringend nötig! Weil die Personenzahlen am Set wegen der gültigen Corona-Beschränkungen so niedrig wie möglich gehalten werden musste, waren nämlich weder Kostüm- noch Maskenbildner:in anwesend – wodurch sich unser Aufgabengebiet erweiterte, denn wir übernahmen diesen Job. Nicht bloß die römischen Kettenhemden sind schwerer und deutlich komplizierter anzuziehen als man denkt, auch die steinzeitlichen Lederkleider mit ihren besonderen Knoten und komplizierten Gürtelbindungen muss man erst einmal kennen.
Worauf hatten wir sonst noch zu achten? Die Schauspieler mussten ungeschminkt sein, durften keinen Nagellack oder Schmuck tragen, Legefalten vom Transport mussten herausgebügelt werden. Als der Vater des kleinen Matteo, der unseren jungen Hermann Berkule im Film zur mittelalterlichen Holsterburg spielte, spontan für eine kurze Szene von wenigen Sekunden miteinstieg, musste ich im Hintergrund aus dem Nichts ein weiteres Set Gewandung zusammenstellen.
Kamera läuft!
Früh waren als Erste unsere Wachmannen an der Reihe, die in der belagerten Holsterburg unruhig auf den Beginn der Kampfhandlungen warten. Als die Szenen abgedreht waren, ging es für alle Schauspieler:innen noch im Kostüm direkt in den nächsten Raum zum Fotografen, der die Aufnahme für unser Filmplakat schoss. Für Matthias und mich bedeutete das, dass wir gleichzeitig an drei Orten sein mussten – zum Glück waren wir immerhin zu zweit! Kurz danach mutierten unsere Wachmannen kostümtechnisch zu Legionären.
In der Zwischenzeit wurden bereits Matteo und sein Vater zu einem kleinen und einem großen Edelherrn von Holthusen gemacht. Während sie gerade von Maria Courtial für den Dreh briefte und unsere Legionäre beim Fotoshooting posierten, kam bereits Dagmar an. Ihre Erscheinung als germanische Seherin im Film zum Feldlager Haltern ist eine Anspielung auf eine geschichtliche Überlieferung von Cassius Dio. Um sie im Film noch geisterhafter wirken zu lassen, wurde ein Ventilator eingesetzt; im wehenden Gewand wirkte sie wie schwebend. Gleichzeitig kamen wieder zwei Legionäre bei uns an, die dringend von den schweren Kettenhemden befreit werden wollten und kaum war das erledigt, wartete bereits Julieth mit ihren Kindern für die Szenen am Steinzeitgrab zur Kostümierung …
Gedreht wurde vor einer Greenscreen, damit die Realdreh-Aufnahmen problemlos in die VR-Animation übertragen werden kann. Jede Szene wurde dabei vorher genauestens durchgesprochen, Schritte und Bewegungsabläufe wurden für die Darsteller:innen mit Aufklebern am Boden markiert.
Oh, aber die Requisiten dürfen wir nicht vergessen!
Auch die mussten bereitgelegt oder vorbereitet werden. So hatten wir für Matteo ein glasiertes Steckenpferd mitgebracht – die Rekonstruktion eines Originalfundes der Holsterburg aus dem 3D-Drucker, basierend auf einem 3D-Scan des Originals. Wie man damit spielte, brauchten wir ihm gar nicht erst zu erklären.
Schwieriger wurde es bei unseren Legionären. Wie spielten die Römer? Glücklicherweise wusste Matthias genau Bescheid: Kurzerhand erklärte er ihnen das sogenannte Knochenspiel.
Die Kinder in der Steinzeit-Szene halfen bei allen Arbeiten mit, indem sie die von uns mitgebrachten Sandsteine aus der Umgebung des Originalfundortes zum Ausfüllen der Lücken zwischen den Findlingen nach Größen sortierten oder Zweige mit dem Feuersteinmesser angespitzten und entrindeten.
Außerdem war es uns wichtig die jungsteinzeitliche Keramik im Film hervorzuheben. Denn gerade in der Urgeschichte sind keramische Funde bedeutend für die Datierung. Darum haben wir ein Kragenfläschchen und die sogenannte Seester Vase aus der Trichterbecherkultur im 3D-Drucker nachgebildet.
Auch der Gabenteller, den Julieth, unsere steinzeitliche Darstellerin, für die Verstorbenen am Grab niederlegt, wurde mühsam vorbereitet und durchdacht, denn was könnte auf einem solchen Teller gelegen haben, was wuchs zur gefilmten Jahreszeit in der Jungsteinzeit in Westerkappeln? Haselnuss, Blaubeeren, Äpfel und Steinpilze, Kamille, Einkorn und Weizen. Das Problem bei der Sache? Grün kann nicht gedreht werden! Die Kamera blendet Grün weg, weswegen ja auch vor einer Green Screen gefilmt wird – bei grünen Dingen entstehen also Löcher im Bild. Also fielen grüne Kostüme und Requisiten aus. und so auch unser erster ‚Serviervorschlag‘ mit Blattgrün und frischen Kräutern. Neu anrichten, bitte!
Es war ein anstrengender, langer, bunter und abwechslungsreicher Tag am Filmset. Mir ist nun auf jeden Fall klar, weshalb es so wichtig ist, Leute vom Fach mit beim Dreh zu haben. Umso begeisterter bin ich, nach einem Blick hinter die Kulissen schließlich das Ergebnis zu sehen.
Die Autorin Annemarie Reck M.A. ist Archäologin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Volontärin bei der Altertumskommission für Westfalen und ist maßgeblich am Projekt »Die archäologische Zeitmaschine« beteiligt.